DAS PROJEKT

Die künstlerische Projektarbeit
der theoretische Ausgangspunkt des Seminars


"Einst träumte Dschuang Dschou, daß er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl fühlte und nichts wußte von Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich wahrhaftig Dschuang Dschou. Nun weiß ich nicht, ob Dschuang Dschou geträumt hat, daß er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, daß er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dschou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist. So ist es mit der Wandlung der Dinge."
(Dschuang Dsï, 1972, S. 51)

Mit diesem alten chinesischen Sprichwort wurde das Seminar eingeläutet. Der Text "Fliegen lassen", dem dieses entstammt, sollte ausschlaggebend für das gesamte Semester sein. Die "metamorphe Verwandlung zum Schmetterling" kann darin sowohl als "Analogie zu künstlerischen Bildungsprozessen", als auch als "denkende und handelnde Perspektivverschiebungen" gelesen werden (Urlaß 2020, S. 627). Es geht darum, den konstanten Wandel anzuerkennen und scheinbar (vor)festgelegte Prinzipien infrage zu stellen, sowie aus ihnen auszubrechen. Dieses Aufmerksamwerden und die daraus folgende Eröffnung von Freiheit bieten Raum für Innovation.  

Ein ganzes Semester arbeiteten 15 Studierende des Lehramts zu einem einzigen Thema. Was das genau war, stand zu Anfang noch gar nicht fest. Es ging um einen Perspektivwechsel, um das Austreten aus Automatismen und das mündige Treffen von Entscheidungen. Unser kunstpädagogisches Seminar beschäftigte und erprobte die künstlerische Projektarbeit nach dem Vorbild von Mario Urlaß. Diese Erfahrungen tragen wir mit uns in unser zukünftiges Handeln als Lehrpersonen.

In seinem Text kritisiert Urlaß festgefahrene Strukturen des aktuellen Kunstunterrichts. Dieser sei durchzogen von Standardthemen, ästhetischen Vorfestlegungen und uniformen Präferenzen, die in der Lehrkraft zum Ausdruck kommen. Dadurch werden die Lernenden fremdbestimmt. Sie treffen Entscheidungen kaum noch selbst, da sie von Automatismen, dieselben, die sie auch notorisch unterfordern, entmündigt werden. Es soll ein Perspektivwechsel herbeigeführt werden, infolgedessen vertraute Handlungsmuster und festgefahrene Handlungsformen verlassen werden. In einem Rahmen, der von Eigenverantwortung getragen wird, sollen die Lernenden individuelle Interessen verfolgen und so innovative Fortschritte wagen. Die künstlerische Projektarbeit versteht sich als Theorie- und Praxiskonzept, in dem das Subjekt im Mittelpunkt steht. Die inhaltliche Auseinandersetzung ist gleichzeitig mit der Persönlichkeitsentwicklung verbunden. Die Voraussetzung für eine persönliche Weiterentwicklung und das Bearbeiten der eigenen Identität ist die individuelle Freiheit zur Selbstbestimmung. In diesem Zusammenhang ist die Projektarbeit nicht nur als reine Lernmethode anzusehen, sie schöpft auch aus dem Potential des Kunstunterrichts, persönlichkeitsbildende Kräfte in künstlerischen Denk- und Handlungsweisen freizusetzten. Die künstlerische Bildung vereint die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Persönlichkeitsbildung in zunehmender Selbstständigkeit. Innerhalb der künstlerischen Projektarbeit entwickelt sich das Thema sukzessiv weiter. Es gibt kein vordefiniertes Ziel. Stattdessen treiben initiierte Impulse und die stetige selbstverantwortete Recherche die Auseinandersetzung voran. Die forschende Perspektive wird ergänzt durch die Ausführung mit künstlerischen Mitteln, welche eine multimediale und multiperspektivische Bearbeitung anstößt. So kommt es zur komplexen künstlerisch-forschenden Auseinandersetzung, in der individuelle Fragen, Ansätze, Blickwinkel, Annahmen und Vorstellungen sowie gestalterische Mittel auf unbekannte Sachverhalte treffen, für die infolgedessen neue Kontexte ausgehandelt werden. 

Verfasst nach: Urlaß, M. (2020). Fliegen lassen. Metamorphe Zugänge in künstlerischer Projektarbeit. In: J. Kirschenmann (Hg.): Zugänge: Welt der Bilder-Sprache der Kunst. München: Kopaed. 

© 2020 Teilnehmer:innen des kunstpädagogischen Seminars: "Praxis künstlerischer Bildung in der Schule" der Kunsthochschule Kassel
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